Nicht jeder Anzug hält,
was er verspricht.

Die Wahrheit ist keine
Interpretationssache.

Schräge Kreationen brauchen
manchmal konservativen Beistand.

Der Teufel steckt
immer wieder im Detail.

Man sieht nicht gleich,
wer etwas zu verbergen hat.

Neue Ideen brauchen zum Schutz
hin und wieder recht alte Schinken.

Ohne Fürsorge kann der
kostbarste Inhalt wertlos werden.

Einstweilige Verfügungen im Presserecht – Die Anhörung der Gegenseite

12. Februar 2019

In zwei presserechtlichen Beschlüssen vom 30. September 2018 hat sich das Bundesverfassungsgericht erneut zu der wiederholt diskutierten Frage geäußert, ob und wie ein Antragsgegner vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen ihn an dem Verfahren beteiligt werden muss. Stichwort war diesmal nicht das rechtliche Gehör, das gemäß Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes jedermann zu gewähren ist. Vielmehr stellte das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen ab auf das sogenannte Recht auf prozessuale Waffengleichheit.

Ziel dieses Artikels ist, die Problemstellung aufzuzeigen, mit der sich die aktuellen Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts befassen. Zudem sollen diese Beschlüsse selbst näher betrachtet und eingeordnet werden. Darüber hinaus wollen wir einen Ausblick geben, welche Auswirkungen die Entscheidungen der Verfassungsrichter in der Praxis haben werden.

Effektiver Schutz trotz fairem Verfahren

Die einstweilige Verfügung ermöglicht es gerade im Äußerungsrecht, schnell und effizient gegen Aussagen und Berichte vorzugehen, die eigene Rechte verletzen. Aufgrund dieses besonderen Zwecks weicht das Verfügungsverfahren in seinem Ablauf häufig von einem üblichen, langwierigen Klageverfahren ab. Beispielsweise werden keine Zeugen geladen, keine Sachverständigen durch das Gericht beauftragt.

Das Ziel des Verfügungsverfahrens ist nicht die endgültige Entscheidung einer Streitigkeit. Es soll lediglich denjenigen vorläufig schützen, dem mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Unrecht getan wurde, Unrecht getan wird oder Unrecht getan werden wird.

Im Pressebereich dient eine einstweilige Verfügung mithin dazu, sich gegen eine vergangene oder noch stattfindende Berichterstattung zur Wehr zu setzen, aber in einigen Fällen auch dazu, eine noch bevorstehende rechtsverletzende Berichterstattung zu verhindern. Gerade in Zeiten des Internets, in denen die Fähigkeit des Vergessens selbst in Vergessenheit gerät, kann dies von unschätzbarem Vorteil sein.

Dies ist kein Angriff gegen die Pressefreiheit. Denn dort, wo falsche Tatsachen behauptet, wo geschmäht und beleidigt wird, sind die Grenzen der Pressefreiheit erreicht. Ob dies der Fall ist, muss jedoch auch im Verfügungsverfahren trotz aller Eile vom entscheidenden Gericht überprüft werden. Der Charakter als Eilverfahren ändert nichts daran, dass trotzdem eine umfängliche rechtliche Prüfung durchgeführt wird.

Alleine vor Gericht

In diesem Fall geht es nun um die Besonderheit des Verfügungsverfahrens, dass es zunächst einseitig betrieben werden kann.

Ein reguläres Klageverfahren wird durch Zustellung der Klageschrift an den Gegner eingeleitet. Das Verfügungsverfahren hingegen beginnt mit der Antragstellung bei Gericht. Hiernach kann das Gericht zwar den Gegner von dem Antrag in Kenntnis setzen, es kann jedoch in eiligen Sachen auch sofort entscheiden. Dies ergibt sich aus § 937 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Zwar kann sich der Gegner dann nicht vor der Entscheidung aktiv äußern – dennoch ist das Gericht selbstverständlich auch hier verpflichtet, die Angelegenheit unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Es kann daraufhin dem Antrag stattgeben, es kann ihn aber auch zurückweisen. Sollte das Gericht dem Antrag stattgeben und eine einstweilige Verfügung erlassen, muss sie dem Gegner zugestellt werden, um wirksam zu sein. Dem Gegner steht dann die Möglichkeit des Widerspruchs offen, um sich vor dem gleichen Gericht gegen diese Entscheidung zur Wehr zu setzen.

Im Prinzip handelt es sich also dennoch um ein beidseitiges Verfahren, allerdings wird die Entscheidung zeitlich vorverlagert – einstweilig, sozusagen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Gegner stets zu Wort kommt.

Wenn zudem nach eigener Einschätzung das Risiko einer einstweiligen Verfügung besteht, kann bereits vorher bei Gericht eine sogenannte Schutzschrift hinterlegt werden. Es handelt sich hierbei um eine Art vorweggenommene Erwiderung auf mögliche Argumente des Antragstellers, die das Gericht bei seiner Entscheidung einbeziehen muss.

Das Bundesverfassungsgericht vertritt nunmehr die Auffassung, bei einer Entscheidung ohne Beteiligung des Gegners sei das Recht auf prozessuale Waffengleichheit in bestimmten Fällen nicht ausreichend gewahrt.

Keine Abmahnung in Köln

In einem Fall (Aktenzeichen 1 BvR 1783/17) erließ das Landgericht Köln auf Antrag eines Unternehmens aus der Waffenbranche eine einstweilige Verfügung gegen ein journalistisches Recherchenetzwerk, mit der dieses Netzwerk verpflichtet wurde, die Veröffentlichung bestimmter Dokumente zu unterlassen. Diese Entscheidung erging „einseitig“, also ohne vorherige Anhörung des Gegners. Auch eine vorherige Abmahnung des Recherchenetzwerks durch das Unternehmen, wie es bei derartigen Sachverhalten eigentlich üblich ist, erfolgte nicht. Das Netzwerk wurde durch die gegen es gerichtete einstweilige Verfügung also gleichsam „aus dem Nichts“ getroffen, ohne sich hierauf vorbereiten oder etwas erwidern zu können.

Im späteren Verlauf legte das Netzwerk tatsächlich Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein. Dieser blieb jedoch zunächst, auch nach der dann durchgeführten mündlichen Verhandlung, erfolglos. Über die dann eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht bislang nicht entschieden.

Den ursprünglichen Beschluss des Landgerichts Köln jedoch hielt das Bundesverfassungsgericht nunmehr für unzulässig und stellte fest, dass das Landgericht Köln mit seiner Entscheidung das Recht auf prozessuale Waffengleichheit des Recherchenetzwerks verletzt habe. Dies begründet das Verfassungsgericht damit, das Landgericht habe der Gegenseite bereits vor seiner Entscheidung, und eben nicht erst nach dem Widerspruch, Gelegenheit geben müssen, sich zu äußern.

Diese Auffassung stützen die Verfassungsrichter auf die in diesem Fall besondere Konstellation, dass das Recherchenetzwerk mangels Abmahnung schon außergerichtlich keine Chance hatte, sich des Vorwurfs einer Rechtsverletzung zu erwehren oder auch eine Schutzschrift zu hinterlegen. Es habe in diesem Fall auch keinen sachlichen Grund dafür gegeben, die Gegenseite durch das sofortige Erwirken eines Verfügungsbeschlusses zu überrumpeln.

In Anbetracht dessen hätte dem Recherchenetzwerk spätestens gerichtlich die Gelegenheit zur Erwiderung gegeben werden müssen. Zwar mag es aus Zeitgründen oft nicht praktikabel sein, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Allerdings muss die Gegenseite in Kenntnis gesetzt werden, wenn es zur Erörterung rechtlicher Fragen kommt. Oft geschieht dies über rechtliche Hinweise nach § 139 ZPO, die dem Antragsteller erteilt werden. Sobald dies aber geschieht, so das Bundesverfassungsgericht, müsse jedenfalls dann auch der Antragsgegner informiert werden, wenn dies vorher nicht – beispielsweise durch eine Abmahnung – geschehen sei. Unabhängig davon müssten derartige Hinweise jedenfalls so dokumentiert werden, dass der Antragsgegner von ihnen auch nach der Entscheidung Kenntnis erhalten könne.

Hamburger Hinweisreigen

Die zweite aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen 1 BvR 2421/17) betrifft einen presserechtlichen Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung, der zunächst vor dem Hamburger Landgericht und anschließend vor dem Oberlandesgericht (OLG) geltend gemacht wurde. Hier hatte ein Fernsehmoderator – mit einigen Umwegen, aber letztlich doch erfolgreich – einen Presseverlag erfolgreich dazu verpflichtet, eine von ihm formulierte Gegendarstellung abzudrucken. Inhaltlich ging es um die Vermietung einer Yacht als Teil eines Steuersparmodells, die in einem Artikel von Mai 2017 thematisiert wurde.

Anders als im Kölner Fall erlangte der Verlag als Antragsgegner hier frühzeitig Kenntnis von den Absichten des Moderators. Denn wie es im Gegendarstellungsrecht erforderlich ist, forderte dieser zunächst außergerichtlich zum Abdruck der gewünschten Gegendarstellungen auf. Der Verlag lehnte dies jedoch ab. Der Versuch des Moderators, beim Landgericht daraufhin eine einstweilige Verfügung zum Abdruck der Gegendarstellung zu erwirken, scheiterte zunächst. Gegen den ablehnenden Beschluss des Landgerichts erhob der Moderator sofortige Beschwerde beim OLG, die er dann, auf telefonischen Hinweis des dortigen Richters, zunächst zurücknahm. Von alldem erfuhr der Verlag auf der Gegenseite zunächst nichts.

Daraufhin forderte der Moderator den Verlag erneut zum Abdruck einer nunmehr etwas angepassten Gegendarstellung auf, was der Verlag wiederum ablehnte. Der Moderator beantragte daraufhin wiederum den Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht. Das Ablehnungsschreiben des Verlages legte er seinem Antrag nicht bei. Der Antrag wurde wiederum zurückgewiesen, woraufhin der Moderator hiergegen wiederum sofortige Beschwerde beim OLG erhob, die er dann wiederum zurücknahm. Auch hiervon erfuhr der Verlag nichts.

Stattdessen wurde der Verlag, man näherte sich nunmehr dem Ende des Sommers, vom Fernsehmoderator ein drittes Mal zum Abdruck einer nochmals modifizierten Gegendarstellung aufgefordert, was der Verlag wenig überraschend ablehnte. Dem Fernsehmoderator kam daraufhin die originelle Idee, den Verlag per einstweiliger Verfügung zum Abdruck zu verpflichten, wobei er seinem Antrag auch diesmal das Zurückweisungsschreiben nicht beifügte. Für die Zurückweisung des Antrags lieferte das Landgericht diesmal eine in der Tat originelle Begründung, dass nämlich nunmehr die Dreimonatsfrist nach § 11 Abs. 2 des Hamburgischen Pressegesetzes verstrichen sei. Dies hielt den Moderator nicht davon ab, erneut den Weg zum OLG zu suchen und zu finden.

Knapp vier Monate nach Erscheinen des Artikels gab das OLG dem Antragsteller nunmehr Recht und verpflichtete den Verlag tatsächlich, ohne ihn vor der Entscheidung nochmals zu hören, die zuletzt geltend gemachte Variante der Gegendarstellung abzudrucken. Durch die Zustellung dieses Beschlusses erfuhr der Verlag erstmals davon, dass gegen ihn Gerichtsverfahren in dieser Sache geführt wurden.

Der Verlag legte Widerspruch ein, über den im November 2017 mündlich verhandelt wurde. Die einstweilige Verfügung wurde sodann bestätigt. Über die hiergegen geführte Berufung ist noch nicht entschieden, vermutlich, da sich das befasste OLG noch nicht genügend in den Prozessstoff einarbeiten konnte.

Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass der Beschluss, mit dem das OLG die einstweilige Verfügung letztlich erließ, den Verlag ebenfalls in seinem Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletze.

Dies begründen die Verfassungsrichter im konkreten Fall damit, dass der Presseverlag nicht angehört worden sei und Hinweise einzig an den antragstellenden Moderator erteilt worden seien, ohne dass der Verlag hierüber informiert worden sei.

Ein Interesse an einer Überrumpelung der Gegenseite komme im Fall von Gegendarstellungen bereits allgemein nicht in Betracht. Denn es sei Voraussetzung des Anspruchs auf Gegendarstellung, deren Abdruck zunächst beim Gegner zu verlangen. Hierdurch werde der Gegner stets vorgerichtlich in Kenntnis gesetzt.

Das Verfassungsgericht stellt sodann ausdrücklich fest, dass im Allgemeinen gerade bei Gegendarstellungen eine besondere Eilbedürftigkeit bestehe. Es sei daher in der Regel nicht angebracht, vor der Entscheidung eine mündliche Verhandlung abzuwarten. Dies gelte aber nur dann, wenn das Verfahren insgesamt zügig geführt werde.

Analog zur Abmahnung bzw. darauf erfolgenden Antwortschreiben sieht es das Bundesverfassungsgericht als zwingend an, dem entscheidenden Gericht die außergerichtlichen Reaktionen der Gegenseite auf ein Abdruckverlangen zur Kenntnis zu bringen.

Hierin erkennt das Verfassungsgericht auch in der Hamburger Konstellation die Mängel, die letztlich für eine Verfassungswidrigkeit der Entscheidung des OLG sorgen. Es hätte zum einen reichlich Gelegenheit bestanden, der Gegenseite das Verfahren und die richterlichen Hinweise zur Kenntnis zu bringen, zum anderen legte auch der Antragsteller die Reaktionen auf seine diversen Abdruckverlangen dem Gericht nicht vor. Ein mehrmonatiges einseitiges Verfahren, von dem die Antragsgegnerin erst bei einer für sie ungünstigen Entscheidung erfährt, hält das Verfassungsgericht nicht für tolerierbar.

Folgen und Ausblick

Auch wenn die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zunächst spektakulär anmuten, betreffen sie letztlich doch zwei jeweils auf ihre Weise extreme Konstellationen.

Im Kölner Fall ist dies der Antragsgegner, der ohne Anlass hierfür völlig überrumpelt werden soll, während parallel das Gericht mit dem Antragsteller über Erlass oder Nichterlass eines Beschlusses gegen ihn diskutiert.

Der Hamburger Fall betrifft einen Antragsgegner, der sich zwar immer wieder äußert, dessen Äußerungen dem Gericht jedoch über Monate systematisch vorenthalten werden. Gleichzeitig hält das Gericht es über diesen Zeitraum nicht für erforderlich, ihm mitzuteilen, dass nachhaltig versucht wird, ihn in Anspruch zu nehmen.

Für die Praxis relevant ist nach beiden Entscheidungen insbesondere, dass das Verfassungsgericht eine vorherige Abmahnung in vielen Fällen ausdrücklich als ausreichend ansieht, um anschließend eine einstweilige Verfügung ohne Anhörung der Gegenseite zu erlassen. Allerdings müssen hierfür die Forderungen in Abmahnung und Verfügungsantrag ebenso identisch sein wie ihre Begründung.

Ebenfalls relevant, gleichzeitig aber auch selbstverständlich sollte es sein, dem Gericht ein außergerichtliches Antwortschreiben auf eine Abmahnung nicht vorzuenthalten. Gegebenenfalls muss der Antragsteller sich hiermit auch im Verfügungsantrag selbst auseinandersetzen.

Für jene zahlreichen Fälle aber, in denen ein zuvor außergerichtlich geltend gemachter Anspruch bei Gericht mit entsprechender Klarheit und Ausführlichkeit geltend gemacht werden kann, dürften sich letztlich keine Unterschiede ergeben. Es geht dem Verfassungsgericht lediglich darum, dass einerseits das Gericht vom Argumentaustausch mit dem Gegner, andererseits aber auch der Gegner von einem Argumentaustausch mit dem Gericht erfahren soll. In den Fällen, wo dieser Austausch nicht erfolgte oder der außergerichtliche Austausch von Argumenten zur Kenntnis gebracht wurde, führt dies zu keinen neuen Problemen.

Es zeigt sich, wie wichtig gerade im Presse- und Äußerungsrecht ein sorgfältiges Vorgehen ist, und zwar schon außergerichtlich. Sind Sie oder Ihr Unternehmen von diffamierender Berichterstattung betroffen?

Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.

Wir von Ronneburger:Zumpf Rechtsanwälte sind erfahren in der außergerichtlichen wie gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen gegen Presseorgane, Zeitschriften und Fernsehsender. Wir helfen Ihnen gerne, wenn es darum geht, Ihren Anspruch so präzise, fair und klar zu verfolgen, wie es das Verfassungsgericht fordert.